Unterrichtsprojekt: Historische Zugänge zum Verstehen der Chemie
Ein universitäres Theorie-Praxis-Projekt zur Neubestimmung pädagogischer Fachlichkeit im naturwissenschaftlichen Unterricht mit Projektpartnern aus dem Vorbereitungsdienst

Laufzeit Oktober 2011 bis September 2021; finanziert aus zentralen QSL-Mitteln

Projektbeschreibung

Das „Unterrichtsprojekt: Historische Zugänge zum Verstehen der Chemie […]“ zielt auf konkrete Verbesserungen der Lehramts(aus)bildung im Bereich der Pädagogik der Naturwissenschaften an der TU Darmstadt. Das Projekt geht dabei fächer- und institutionenübergreifend vor. Der spezifische Zugang zu den Naturwissenschaften für die Studierenden des Lehramts erfolgt in diesem Projekt unter der Perspektive ihres historisch-genetischen Verstehens. Über diesen originären ‚Blickwechsel‘ auf die Naturwissenschaften können die Studierenden des Lehramts objektive Verstehensprobleme innerhalb der Naturwissenschaften erkennen, mit denen Schüler*innen im Unterricht immer wieder zu ringen haben. Dieser Zugang zielt auf den Erwerb einer reflektierten Sachkompetenz bei den Lehramtsstudierenden.

Die beständige Fortentwicklung der Seminarangebote im Rahmen des Projekts nimmt die verschiedenen Voraussetzungen und Bedürfnisse der Studierenden in den Blick, um neue, genuin fachpädagogische Zugänge zu den Denkbewegungen und -problemen der Schüler*innen zu generieren. Die Kenntnis der zivilisatorischen Eingebettetheit der Naturwissenschaften ist dabei für ein Verstehen von entscheidender Bedeutung, das sich über die Einsicht in deren „Entstehungs-, Begründungs- und Verwertungszusammenhänge“ (Euler/Luckhaupt 2010) entwickelt.

Die durch das Projektteam gewonnenen theoretischen Erkenntnisse erzwingen zudem eine Erweiterung der Verstehens-Perspektive zur Verbesserung des naturwissenschaftlichen Unterrichts insofern, als die unübersehbar werdenden gesellschaftlichen Auswirkungen einer lediglich fortschrittsgläubigen Naturwissenschaft als essentieller Bestandteil in die Unterrichtsarbeit einzubeziehen sind. Durch den Einbezug eines reflexiven Blicks auf die metaphysischen Implikationen sowie die ökonomischen Auswirkungen der Naturwissenschaften führt diese notwendige Erweiterung der Verstehens-Perspektive mithin zu einer genuinen Neubestimmung des pädagogischen Zwecks von Fachunterricht, erzwingt sie insgesamt ein neues pädagogisches Verständnis des naturwissenschaftlichen Unterrichts.

Die dem Projekt entspringende Einsicht, dass naturwissenschaftlicher Erkenntnisgewinn in metaphysischen und gesellschaftlich-ökonomischen Bedingungen fundiert ist, gibt den Blick auf eine gesellschaftliche Realität frei, die eben diese Bedingungen ignoriert, obgleich sie doch grundsätzlich auf sie verwiesen bleibt. Ist ein metaphysisches An-sich-Sein der endlichen Naturgegenstände gerade die Bedingung ihrer Erkennbarkeit, so korrespondiert diesen Gegenständen doch ein tendenziell unendlicher kapitalistischer Reproduktionsprozess, welcher Natur einzig noch als Ressource kapitalistischen Wachstums begreift. Dies äußert sich in der wachsenden Erkenntnis einer Entwicklung der ‚Nicht-Nachhaltigkeit‘. Insofern die Naturgegenstände nämlich tatsächlich ein endliches Material darstellen, dies jedoch im wissenschaftlich-technologischen Produktionsprozess unreflektiert bleibt, werden die naturwissenschaftlich qualifizierten Arbeitskräfte „ohne ihren Willen zu Ingenieuren des Untergangs der Gattung“ (Bulthaup). Aus diesem Sachverhalt ergibt sich letztlich auch die inhaltliche Verbindung des Projektthemas zur Nachhaltigkeitsproblematik bzw. der Nicht-Nachhaltigkeit. Die gegenwärtige ökologische Krise, die den drohenden Untergang der Gattung Mensch als Folge eines hemmungslosen, anarchischen Ressourcenverbrauchs brandmarkt, verweist indes auf eine Einsicht, welcher einer kritischen Pädagogik bereits früh zu Bewusstsein kam.

Projektziele

1. Es gilt die Fähigkeit zu entwickeln, anhand historisch-genetischer Denk- und Erkenntniswege grundlegende Verstehensprobleme der Naturwissenschaften zu identifizieren. Für das Herstellen einer Beziehung zwischen Subjekt- und Sachseite, bedarf es zudem eines Wissens über Entstehungs-, Begründungs- und Verwertungszusammenhänge des je eigenen Faches.

2. Die Bearbeitung jener Denk- und Erkenntniswege in pädagogischer Absicht bringt jene sich bei der einstigen Konstitution aufwerfenden Probleme der Wissenschaft zutage, die ihrerseits geeignet sind, an ihnen ein Instrument fachpädagogischer Diagnostik zu gewinnen. Angehende Lehrer*innen werden derart sensibel für die Verstehensprobleme der Schüler*innen und befähigt zur Schülervorstellungsanalyse. Die Einsicht in Begründungs- und Verwertungszusammenhänge der Naturwissenschaften kann für die Studierenden ihrerseits zum Mittel werden, die Verstehensprobleme der Schüler*innen zu verstehen, indem sie konkrete Lernzusammenhänge und – anlässe bereitet.

3. Die Erarbeitung der historischen Denk- und Erkenntniswege der Naturwissenschaften liefert dabei gleichermaßen Unterrichtsmaterial durch den Einsatz von Textdokumenten und historisch originären Quellen. Besonders dem Wiederentdecken und Zugänglichmachen historischer Versuche kommt hierbei herausragende Bedeutung zu. Anhand historischer Projekte und wissenschaftlich-technologischer Entwicklungen können zudem Einsichten in die immanent zivilisatorische Eigenheit und Involviertheit der Naturwissenschaften in Kultur und Gesellschaft gewonnen werden.

4. Weil der in den Veranstaltungen des Projekts etablierte Blick auf die metaphysischen Implikationen sowie die ökonomischen Auswirkungen der Naturwissenschaften zudem insgesamt zu einer Revision des pädagogischen Zwecks von Fachunterricht zwingt, ist die Einsicht hinzugetreten, dass die bisher gewonnenen Erkenntnisse des Projekts auf eine Neubestimmung des pädagogischen Grundverständnisses naturwissenschaftlichen Unterrichts zu zielen haben. Diese soll es den Studierenden ermöglichen, die immanente Verbindung zwischen der ambivalenten gesellschaftlichen Funktion der Naturwissenschaften und deren Bedeutung als Gegenstand kritischer Pädagogik herzustellen.