Martin Wagenschein 2.0: Ein Darmstädter Klassiker der Pädagogik – neu gedacht

Laufzeit: Seit Januar 2022; finanziert aus zentralen QSL-Mitteln

Ausgangslage

Über die Grenzen seiner Studienfächer Physik und Mathematik hinaus ist Martin Wagenschein (1896-1988) vor allem innerhalb der wissenschaftlichen Pädagogik eine feste Größe. Einführende Werke in die Disziplin zählen ihn längst zu den sogenannten „Klassikern der Pädagogik“. Obgleich im Fach Physik promoviert, verstand er sich immer als Pädagoge. Prägend für die Herausarbeitung seines Ansatzes des ‚Genetischen Lehrens‘ war nicht zuletzt seine zehnjährige Tätigkeit an der reformpädagogischen Odenwaldschule. Mit den physikalischen Größen seiner Zeit diskutierend, nahm er als noch junger Lehrer etwa Kontakt zu Max Planck auf, der ihn in seinen didaktischen Bestrebungen eines ‚Verstehen Lehrens‘ ausdrücklich unterstützte. Seine didaktischen Bemühungen führten Wagenschein schließlich auch in die Ausbildung angehender Lehrpersonen. So hatte Wagenschein von 1952 bis 1987 einen Lehrauftrag für „Praktische Pädagogik“ an der damaligen TH Darmstadt inne, den er bis ins hohe Alter hinein bekleidete. Zudem kann er als einer der Vorreiter der Interdisziplinarität gelten, speziell für das Lehramt, da er didaktisch immer an dem Ort laborierte, wo das verstehen wollende Subjekt und die Sache einander wechselseitig durchdringen. Im Laufe seines Lebens wurden Wagenschein zahlreiche Ehrungen zuteil. Besonders hervorzuheben ist hierbei die Ehrendoktorwürde der TH Darmstadt vom 01. Februar 1978 sowie etwa der Didaktik-Preis für Physik der Deutschen Physikalischen Gesellschaft am 19. März 1986. Durch sein langjähriges Engagement in der Lehre der TU Darmstadt gab es immer wieder Bestrebungen, seine Didaktik weiterzuentwickeln und fortzuführen. So etwa im ehemaligen Arbeitsbereich von Prof. Peter Euler (Allgemeine Pädagogik mit dem Schwerpunkt Pädagogik der Natur- und Umweltwissenschaften). Von dort ging auch die Initiative aus, den bedeutenden Nachlass Martin Wagenscheins für die TU Darmstadt zu sichern

Projektziele

Als Kooperationsprojekt zwischen Allgemeiner Pädagogik, Physikdidaktik und dem Archiv der TU Darmstadt, verfolgt das Projekt zwei große Ziele.

Aus der Perspektive des Archivs zielt das Projekt zunächst darauf ab, das Lebenswerk von Martin Wagenschein bestmöglich zu sichern, für die Zukunft zu erschließen und eine wissenschaftliche Nutzung zu ermöglichen. Dies wird durch eine archivfachliche Erschließung und wissenschaftliche Aufarbeitung des Nachlasses gewährleistet.

Aus der Perspektive Allgemeiner Pädagogik sowie der Physikdidaktik verfolgt das Projekt das Ziel, den Lehramtsstudierenden einen Blickwechsel auf die Naturwissenschaften zu ermöglichen, indem naturwissenschaftliche Gegenstände unter der Perspektive ihres historisch-genetischen Verstehens eröffnet werden. Damit zielt die wissenschaftliche Auseinandersetzung Lehramtsstudierender im Bereich der Naturwissenschaften mit den Schriften Martin Wagenscheins auf die Fruchtbarmachung zur Unterrichtsgestaltung und -verbesserung. Es gilt hierbei u.a. die Fähigkeit zu entwickeln, anhand historischer Denk- und Erkenntniswege grundlegende Vorstellungsprobleme von Lernenden zu erkennen. Die Herausbildung eines fachpädagogischen Lehrbewusstseins wird dabei zur Voraussetzung, Vorstellungsprobleme von Lernenden fachpädagogisch zu identifizieren und sie unterrichtlich fruchtbar machen zu können. Denn aus der Bearbeitung der Denk- und Erkenntniswege in pädagogischer Absicht kann ein Instrument fachpädagogischer Diagnostik gewonnen werden, das zur Analyse der Verstehensprobleme der Lernenden beiträgt und zum Umgang mit ihnen sensibilisiert. Aus diesen Einsichten sind dann fachdidaktische Handlungsmöglichkeiten zu gewinnen. Schließlich dient das Genetische Lehren Martin Wagenscheins dazu, im Anschluss an sein Denken weitere sogenannte genetische Lehrgänge auszuarbeiten, seine Didaktik im Rahmen von Lehrveranstaltungen lebendig werden zu lassen. Den Studierenden wird so die Möglichkeit eingeräumt, sich intensiv mit der pädagogischen Dimension fachdidaktischer Probleme auseinanderzusetzen und diese i.S. Wagenscheins für den Unterricht produktiv zu machen.

So ermöglicht die Auseinandersetzung mit den historischen Denk- und Erkenntniswegen der Naturwissenschaften etwa die Erstellung von Unterrichtsmaterialien durch die fachpädagogische Bearbeitung von Textdokumenten und historisch originären Quellen bzw. von historischen Versuchen bzw. deren entsprechenden Aktualisierungen. Insgesamt gilt es hierbei nicht nur, das Werk bzw. die Didaktik Wagenscheins kennenzulernen, sondern sie zudem auch daraufhin zu beforschen, wie sie im 21. Jahrhundert auf eine heterogene, diverse und digitale Lehr- und Lernumgebung angewendet werden kann. Das interdisziplinäre Projekt ist insgesamt so angelegt, dass die studentischen Forschungsarbeiten die Erschließung und Auswertung der genannten Archivmaterialien voranbringen und dabei zugleich einen wichtigen Beitrag nicht nur zur universitätsgeschichtlichen Aufarbeitung, sondern auch zur Sichtbarmachung des Werks von Martin Wagenschein liefern.